Premiere beim Supermarathon

  • Beitrags-Kategorie:Bergsteigen

Es gibt Läufe die haben einen ganz speziellen Reiz und man kann eigentlich nicht sagen warum. Der Rennsteiglauf gehört zu solchen Läufen. Geboren aus ‚zivilen Ungehorsam‘ zu Zeiten des staatlich verordneten Leistungssports hat er sich zu einer wahren Lauflegende entwickelt. Nun hatte ich ja schon vor Jahren die Gelegenheit den Zauber des Rennsteiglaufes beim Marathon kennen zu lernen. In den nächsten Jahren stand aber dann erst mal die Jagd nach Bestzeiten beim Marathon auf der Tagesordnung.

Dieses Jahr war es dann endlich wieder soweit. Die verkorkste Vorbereitung auf den Frühjahrsmarathon, verlangte nach einem anderen Wettkampfhöhepunkt im Frühjahr. Bei der Fahrt zum Brandenburger Teammarathon hatte mich Jörg mit der Idee des Supermarathons infiziert. Diese Idee reifte in den nächsten Wochen zu einem ernsthaften Vorhaben. Der Trainingsplan wurde insgeheim angepasst, ein Startplatz besorgt und auch der andere logistische Kram, wie Anreise und Übernachtung, wurde organisiert. Also auf zum Supermarathon!

Die Anfahrt gestaltete sich sich schon mal als Abenteuer, dank eine zweistündigen Vollsperrung der Autobahn, entfiel die geplante Besichtigung von Eisenach und nach dem Abholen der Startunterlagen traf man sich gleich im Festzelt zur Klosparty. Da es aber am nächsten Morgen zeitig losgehen sollte und noch einiges vorbereitet werden musste, ging es nach nur einem Bier in Richtung Wohnmobil. Dieses sollte uns für diese Nacht als Quartier bieten. Eigentlich perfekt diese Lösung, man kann preisgünstig in der Nähe des Starts übernachten und bequemer als Nachtlager im Kofferraum ist es allemal. Dummerweise war das Wasser eingefroren, da es in der Nacht vorher Frost gegeben hatte. Aha! Frost! Und da waren wir schon beim ersten Problem, was zieht man an. Regnen sollte es schon mal nicht, also keine Jacke. Langes Shirt oder kurz? Auch die Frage war schnell beantwortet, denn ich hatte mein langes Shirt vergessen. Dann noch die Frage nach der Taktik, der Zielzeit und was sonst noch. Jörg war der Meinung eine Zeit unter 6:00 wäre bei mir drin (aha), nach seiner Erfahrung Marathonzeit mal 2 plus 30 Minuten. Ok, das passt zwar bei mir nicht, aber meine Marathonzeit passt ja auch nicht zu den anderen Unterdistanzzeiten. Also schauen wir mal, was so passiert.

Das Wetter am nächsten Morgen war zwar leidlich angenehm, aber wir sollten uns ja auch noch einige Höhenmeter nach oben begeben. Zuerst sollte es aber Frühstück geben. Das Kaffeekochen scheiterte erst an den fehlenden 220V für die Kaffeemaschine und dann an den fehlenden Streichhölzern für den Gaskocher. Also kein Kaffee, der Tag fing schon mal gut an. Bei der Kleidung entschied ich mich letztlich für ein dünnes T-Shirt und Singlet drüber. Das T-Shirt (eines der unzähligen Shirts vom Muldentallauf) kann man ja dann irgendwann mal wegwerfen. Dann die Sachen in wasserdichte Säcke gepackt, nochmal die Toilette des Wohnmobils aufgesucht und ab zum Start. Dort wieder mal die üblichen Verdächtigen getroffen, die Säcke auf den LKWs verstaut und dann ging es auch schon los. Passend zu meinem geplanten defensiven Beginn hatte ich mich weiter hinten eingeordnet, eine kluge Entscheidung, wie sich noch zeigen wird.

Nach den üblichen etwas hektischen ersten Metern durch Eisenach geht es dann auch schon bald aufwärts. Wichtig war jetzt das Finden des richtigen Tempos. Die Beine waren noch frisch und so steil war es ja auch nicht, aber das war ja erst die Ouvertüre. Also war die Devise: ‚Ruhig Brauner!‘. Langsam zog sich das Feld auseinander und man hatte manchmal im Nebel schon das Problem die Vorderleute zu sehen. An der einen oder anderen Stelle hatte ich da schon Bedenken, mich zu verlaufen. Der Nebel sollte uns dann noch eine ganze Weile begleiten und eigentlich erst nach ein paar Stunden sollte es etwas aufklaren. Der Regen der letzten Tage hatte auch die Wege ordentlich aufgeweicht und manche Stellen waren regelrecht schmierig und speziell bei den Bergabstrecken, hies es aufzupassen. Dazu gab es durch den Nebel eine hohe Luftfeuchtigkeit und wirklich warm war es nicht. Ich hatte mit meinen klammen Fingern immer Probleme den Reißverschluss an der Hose zu öffnen und ein Gel aus der Tasche zu fingern, ohne selbiges zu verlieren oder die anderen hinterher zu schmeißen. Handschuhe sind auf jeden Fall beim nächsten Mal eine Überlegung wert.

Die Taktik war, erst mal bis zum Gipfel des Inselsberg mit angezogener Handbremse zu laufen und trotzdem nicht allzu viel Zeit auf den geplanten Kilometerschnitt zu verlieren. Nach gut zwei Stunden war der Gipfel des Inselsberg erreicht. Auf den nächsten, leidlich ebenen, Kilometern war jetzt das Ziel etwas Tempo zu machen. Ich sammelte nach und nach immer mehr Läufer ein und die Beine waren noch erstaunlich locker. Irgendwo bei km35 gab es mal ein leichtes Krampfen im Oberschenkel, welches ich aber durch Wechseln der Wegseite (und somit ein Wechseln der Belastung, da die Wege immer zum Rand hin abfallen) schnell wieder in den Griff bekam.

Nächstes Etappenziel war der Grenzadler, hier sollte schon eine erste Entscheidung fallen, ob die 6:00 Marke realistisch ist. Geplante Durchlaufzeit war 4:31, aber Jörg meinte schon, das das dann knapp werde würde. Bei 4:29 ging es über die Zeitmessmatte. Also alles Bestens. Ausgewiesen ist diese Zeitnahme bei 54,7km und das zeigte auch mein Garmin an dieser Stelle an. Nach dem Grenzadler geht es aber nochmal hoch, da war gehen statt laufen angesagt. Als bei km62 der höchste Punkt an der ‚Plänckners Aussicht‘ erreicht war, war der Traum von den 6 Stunden eigentlich ausgeträumt. Der Kilometerschnitt war bei 5:00 (und 4:57 wären nötig gewesen). Doch die Strecke sollte von jetzt an (fast) nur noch bergab gehen und mittlerweile war ich irgendwo bei Platz 25. Vielleicht wird es ja wenigstens noch ein Platz unter den ersten 20. Also nochmal Druck aufgebaut und geschaut, was bergab so geht. Die nächsten Läufer wurden eingesammelt. Beim ganzen Einsammeln der Läufer verpasste ich aber die nächsten Kilometerschilder mit meiner Uhr abzugleichen. Das sollte sich noch bitter rächen.

Der nächste Läufer kam in Blickweite und überraschenderweise war das Jörg G.. Ich hatte ihn zwar am Morgen schon am Start gesehen, aber wesentlich weiter vorne erwartet. Wenig später war ich dran und demonstrierte wieder mal meine psychologischen Schwächen und taktische Unerfahrenheit. Anstatt ihm mit  ‚Mensch Jörg, siehst du schlecht aus! So schaffst du die letzten 20 Kilometer NIE!‘ die letzte Lust zu rauben, höre ich mich sagen: ‚Komm, nur noch 5 Kilometer!‘. Eigentlich bin ich damit ein klarer Kandidat für den diesjährigen Fairnesspokal, den nur 2 Kilometer später kommt Jörg von hinten und fragt: ‚Wirklich nur noch 4 Kilometer?‘. Und anstatt jetzt zu antworten: ‚Nein, war ein Spass. Noch 10 Kilometer bergauf.‘, nicke ich und sage ‚Ja!‘. Und jetzt kam, was kommen musste, Jörg zog vorbei und verschwand am Horizont (bildlich gesprochen). Ist ja auch ok, wenn er halt schneller ist.

Ein Blick auf die Uhr zeigte mir jetzt, das der Kilometerschnitt jetzt plötzlich wieder bei 4:57 lag. Sollte da doch noch was mit 6 Stunden gehen? Alles oder nichts ging es jetzt die Piste runter. Da stand dann endlich das 70km Schild. Aber, Moment mal, meine Uhr sagt, ich bin schon bei Kilometer 71. Egal, vielleicht steht das Schild falsch. Stand es aber nicht! Es stand genauso richtig wie das folgende 71km und 72km Schild. Vorbei der Traum. Plötzlich wurden die Beine schwer und ich wurde auch noch von einem Läufer überholt. Egal, Zieleinlauf geniessen, Stoppuhr abdrücken, vorbei. Auf meiner Uhr stand was von 73,6 km anstatt 72,7, eine Ungenauigkeit von 900 Metern auf den letzten 18 Kilometern. Vorausgesetzt, die Matte am Grenzadler lag richtig. Wo genau die Zeit verloren gegangen ist, weiß ich nicht und es ist auch egal. Denn wenn ich ehrlich bin, sind die 6:04 schon eine Wahnsinnszeit und ich bin damit sehr zufrieden.

Vorbei war es noch nicht ganz, der zweite Teil des Wettkampfes spielte sich dann im Umkleidezelt ab. Die Aufgabe war es, mit eiskalten Fingern und bei jeder Bewegung krampfender Beinmuskulatur die Kompressionsstrümpfe auszuziehen. Mir war kalt und ich wollte unter die warme Dusche und bekam  die doofen Strümpfe nicht aus. Ich war kurz davor mit Strümpfen unter die Dusche zu gehen, dann konnte ich das Problem zum Glück lösen und wenig später stand ich unter der warmen Dusche und taute so langsam auf. Dann alles an trocknen Sachen angezogen, die in der Tasche waren und mit einem Läuferbier in der Hand fing ich an so langsam wieder zu entspannen. Beim Holen meiner Urkunde stellte ich sogar noch fest, das der Läufer, welcher mich kurz vorm Ziel überholt hatte, hinter mir gewertet wurde. Beim Rennsteiglauf wird halt nach Nettozeiten gewertet und ich stand beim Start eben weit genug hinten.

Zur Siegerehrung gab es dann sogar noch Sonne. Ich war zwar nicht dran (ich bin ja für eine Änderung der Wertung, wer bereits bei der Gesamtwertung geehrt wurde, fällt bei der AK-Wertung raus, dann hätte ich statt einem 6.Platz in der M40 einen 3.Platz), aber zum einen mussten wir Jörg 4. Gesamtplatz und Altersklassensieg sowie den 2. Platz in der W30 von Manuela gebührend würdigen.

Dann ging es leider schon auf den Heimweg. Zur Strafe, das wir die Abschlussparty im Festzelt mit Schneewalzer und Rennsteiglied verpasst haben, tun mir jetzt ordentlich die Beine weh. Wer halt nicht ordentlich regeneriert!